Sie befinden sich hier
Inhalt
Spina bifida aperta, Myelomeningocele, Myeloschisis
Spina bifida – im Sprachgebrauch "offener Rücken" genannt – ist die häufigste Ursache angeborener Körperbehinderung. Ein "offener Rücken" wird bei etwa einem von 3.000 Kindern nach der Geburt festgestellt. Die Fehlbildung tritt meistens in der Höhe der Lendenwirbelsäule und des Kreuzbeins auf und entsteht durch einen fehlenden Verschluss von Rückenmark und Wirbelbögen zu einem noch frühen Zeitpunkt der Schwangerschaft. Spina bifida kann bereits vor der Geburt behandelt werden.
Diagnose
Der "offene Rücken" ist bereits früh im Ultraschall erkennbar. Ebenso zeitig kann er durch den Nachweis einer erhöhten Alpha-1-Feto-Protein-Konzentration im mütterlichen Blut und/oder im Fruchtwasser diagnostiziert werden. Als erste Hinweise auf die Erkrankung sind im vorgeburtlichen Ultraschall meist ein verringerter Schädelumfang des Kindes, erweiterte Hirnkammern sowie charakteristische sonographische Zeichen (Lemon-Sign, Banana-Sign) zu sehen.
Folgen der Spina bifida
Je nachdem, in welchem Bereich der Wirbelsäule (Kreuzbein, Lende, Brust oder Hals) die Rückenmarkanteile im Fruchtwasser frei liegen und dadurch zusätzlich geschädigt werden können, hat eine Spina bifida mehr oder weniger ausgeprägte Lähmungserscheinungen und Empfindungsstörungen zur Folge. Tritt die Fehlentwicklung zum Beispiel ab dem – hoch gelegenen – zweiten Lendenwirbel nach unten hin auf, können betroffene Kinder ohne vorgeburtliche Behanldung der Spina bifida im späteren Leben nur selten selbstständig gehen.
Je tiefer die Fehlbildung liegt, desto höher ist die Chance Laufen zu können - auch wenn dazu häufig Hilfsmittel wie Orthesen oder Gehstützen benötigt werden. Nach Untersuchungen durch Expertinnen und Experten für Spina bifida (Bruner und Tulipan) bleibt die Gehfähigkeit – vorgeburtlich unbehandelt – bei 60 Prozent aller kleinen Patientinnen und Patienten erhalten, wenn die Schädigung des Rückens im Bereich des vierten Lendenwirbels zu finden ist; für 90 Prozent der erkrankten Kinder stehen die Chancen diesbezüglich gut, wenn ihre Schädigung im Bereich des fünften Lendenwirbels liegt. Hilfsmittel wie Orthesen sind aber auch in diesen Fällen häufig noch erforderlich.
Befindet sich die Spina bifida auf Höhe des Kreuzbeins, sind nahezu alle betroffenen Kinder später in der Lage zu gehen. Dennoch muss in beinahe jedem Fall mit Entleerungsstörungen von Blase und Darm gerechnet werden, falls die Spina-bifida-Patienten vor der Geburt nicht operiert werden. Dank moderner Hilfsmittel stehen diese Störungen einem weitgehend normalen Sozialleben heutzutage aber nicht mehr im Wege.
Behandlung von Spina bifida nach der Geburt
Neurochirurgische Operationsverfahren nach der Geburt können die sich frei vorwölbenden Rückenmarkstrukturen nur kosmetisch verschließen und so Infektionen verhindern. Durch diese nachgeburtliche Behandlung ist aber weder eine Verbesserung der Lähmungserscheinungen noch der Empfindungs- und Entleerungsstörungen zu erwarten.
Wasserkopf (Hydrocephalus)
Eine zusätzliche Besonderheit bei Spina-bifida-Kindern (und -Erwachsenen) ist die Verlagerung des Kleinhirns und von Hirnstammteilen (Chiari-Typ-II-Malformation, Arnold-Chiari-Malformation). Diese Auffälligkeit ist bei fast allen Betroffenen zu finden und begünstigt den Aufstau von Hirnwasser, was zur Erweiterung der Hirnkammern führt. Die Folge ist ein Hydrocephalus, ein so genannter "Wasserkopf".
Wichtig zu wissen
Diese Störung der Hirnentwicklung ist nicht mit geistiger Behinderung gleichzusetzen! Ganz im Gegenteil: Die meisten Kinder mit "offenem Rücken" besitzen eine normale Intelligenz. Wir betonen das so deutlich, weil unbegründete Befürchtungen in dieser Sache häufig Schwangerschaftsabbrüche nach sich ziehen. Erhalten Sie eine solche Diagnose für Ihr ungeborenes Kind, raten wir deshalb unbedingt zu einer Beratung durch erfahrene Spina-bifida-Spezialistinnen und -Spezialisten.
Behandlung der Spina bifida mit minimal-invasiver Fetalchirurgie
Alternativ zur weithin üblichen nachgeburtlichen Behandlung des "offenen Rückens" bietet das DZFT bereits eine Behandlung im Mutterleib an. Diese Behandlung der Spina bifida beruht auf den Erkenntnissen zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen: Demzufolge sind die typischen Spina-bifida-Symptome nicht allein durch die Fehlanlage von Wirbelsäule und Nervengewebe in der frühesten Entwicklungsphase eines Babys bestimmt. Die im Ultraschall sichtbaren Bilder zeigen vielmehr, dass sich bei den meisten Ungeborenen mit Spina bifida die Lähmungen, Fußfehlstellungen und der Hydrocephalus erst im weiteren Verlauf der Schwangerschaft zunehmend ausbilden.
Daher haben amerikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits Mitte der 90er Jahre damit begonnen, den "offenen Rücken" vor der Geburt operativ zu schließen – allerdings in einem "offenen" fetalchirurgischen Verfahren. Dabei werden Bauch und Gebärmutter der werdenden Mutter durch größere Schnitte geöffnet, um das Baby zu erreichen.
Eine Anfang 2011 veröffentliche wissenschaftliche Studie hat gezeigt, dass mit diesem Verfahren im Vergleich zu vor der Geburt nicht operierten Kindern geringere Lähmungserscheinungen der unteren Extremitäten, eine Besserung der Chiari II-Malformation sowie eine geringere Notwendigkeit einer nachgeburtlichen Hirnwasserableitung erreicht werden konnte (MOMS-Studie). Allerdings zeigte sich das "offene" Verfahren als sehr belastend für die Schwangeren: Bei einem Drittel wurden Gebärmutterwandschwächen beobachtet, die bei einer normalen Geburt nach einer späteren Schwangerschaft ein erhebliches Risiko darstellen – das Einreißen der Gebärmutter mit dabei auftretenden Blutungen ist in jedem Fall eine bedrohliche Komplikation.
Am DZFT vermeiden wir grundsätzlich große Schnitte und die Öffnung von Bauch und Gebärmutter während einer Schwangerschaft, indem wir zur Behandlung der Spina bifida ein minimal-invasives fetoskopisches Verfahren verwenden. Bislang weltweit einmalig wird an unserem Zentrum die fetale Spina bifida durch nur durch drei kleine Operationsröhrchen mit einem Außendurchmesser von jeweils fünf Millimetern verschlossen.
Allein seit Sommer 2010 wurden am DZFT mehr als 160 Kinder mit Spina bifida vorgeburtlich operiert. Fast alle wurden wie gewünscht erst im letzten Schwangerschaftsviertel geboren. Der durchschnittliche Zeitpunkt aller Geburten lag in der 34. Schwangerschaftswoche, einige Kinder kamen sogar erst am regulären Ende der Schwangerschaft auf die Welt. Das ist ein großer Erfolg, denn nach der 30. Schwangerschaftswoche treten kaum noch schwere Frühgeburtskomplikationen auf.
Ergebnisse der vorgeburtlichen Behandlung von Spina bifida
Zusammenfassend lässt sich – nach inzwischen mehr als 15 Jahren praktischer Erfahrung – sagen:
- Eine Verlagerung des Kleinhirns, die den "Wasserkopf" (Hydrocephalus) mitverursacht, lässt sich durch die vorgeburtliche Operation bei den meisten Kindern verbessern
- Die zum Zeitpunkt des Eingriffs vorhandene Beweglichkeit der Beine lässt sich erhalten – damit sind die Ergebnisse im Vergleich zu vorgeburtlich nicht behandelten Kindern mit Spina bifida meistens auffallend positiv
- Bei günstigen Operationsbedingungen ersetzt der minimal-invasive vorgeburtliche Verschluss inzwischen sogar den operativen Verschluss des offenen Rückens nach der Entbindung
- Sind die Hirnkammern bei einem ungeborenen kleinen Patienten zum Zeitpunkt des Eingriffs noch schmal, kann nach der Geburt wesentlich öfter als bei vorgeburtlich nicht operierten Kindern auf die Implantation eines Shunts verzichtet werden
Allerdings sind diesem Eingriff auch klare Grenzen gesetzt. Lähmungserscheinungen, die bereits vor dem Eingriff aufgetreten sind, lassen sich ebenso wenig rückgängig machen wie ein schon fortgeschrittener Hydrocephalus.
Auch auf eine schwere, sehr tiefe Verlagerung von Kleinhirn und Hirnstamm kann die Operation keinen Einfluss mehr nehmen. Nach unserer Erfahrung besteht zudem für das Ungeborene ein geringes Risiko von etwa 3 Prozent, durch den Eingriff zu versterben. Unter Berücksichtigung all dieser Faktoren wägen wir Nutzen und Risiken eines Eingriffs für jede Schwangere und jedes Kind gründlich gegeneinander ab.
Das Deutsche Ärzteblatt hat einen Bericht über Langzeitstudien zum Erfolg von intrauterinen Operationen bei Spina Bifida veröffentlicht.
Ablauf des minimal-invasiven Eingriffs
Der empfohlene Operationszeitpunkt für den minimal-invasiven Verschluss des offenen Rückens am DZFT liegt zu Beginn der Zeitspanne zwischen der 21. und der 26. Schwangerschaftswoche: Erfahrungsgemäß liegen in den frühen 20er Schwangerschaftswochen die besten Voraussetzungen vor, um die Funktion von Beinen (und vielleicht auch von Blase und Mastdarm) zu erhalten und die begleitenden Gehirnfehlbildungen zu verbessern.
Als Schwangere werden Sie zwei Tage vor dem Eingriff stationär aufgenommen und etwa eine Woche danach wieder nach Hause entlassen. Für den Rest der Schwangerschaft sollten Sie sich körperlich schonen.
Bundesweite Selbsthilfegruppe Spina bifida
Unabhängig von Ihrer Entscheidung für oder gegen einen vorgeburtlichen Eingriff stehen Ihnen an unserer Klinik bei allen Fragen zu Spina bifida, der nachgeburtlichen Behandlung und Prognose erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung. Viele wichtige Informationen über "Spina bifida" erhalten Sie auch bei der bundesweiten Selbsthilfegruppe "Arbeitsgemeinschaft Spina Bifida und Hydrocephalus e. V. (ASBH)". Gerne vermitteln wir auch einen direkten Kontakt zu zahlreichen von uns vorgeburtlich operierten Frauen und ihren Familien, bei denen sie Informationen aus erster Hand erhalten.
Kontakt
Bei Fragen zur minimal-invasiven Behandlung des „offenen Rückens“ (Spina bifida) kontaktieren Sie uns bitte montags bis freitags zwischen 10 und 17 Uhr unter 0175/597-1213. Falls wir Ihren Anruf nicht persönlich entgegen nehmen können, hinterlassen Sie bitte Ihren Namen und Ihre Telefonnummer auf dem Anrufbeantworter, damit wir Sie zurückrufen können oder senden Sie uns eine E-Mail an thomas.kohl@. umm.de